Zeitzeugen berichten

Unter dieser Rubrik bringen wir Interessantes, Historisches und manchmal auch Vergnügliches von Waidmannslustern oder Mitbürgern, die eine besondere Beziehung zu Waidmannslust haben.

„Gekicher am Müllkasten

Zu den ältesten Läden in Waidmannslust gehörte neben Leontines Schreibwarenladen (Leontine Kranz in der heutigen Artemisstraße) auch das Handarbeitsgeschäft von Fräulein Wandel in der Waidmannstraße (seit 1937: Waidmannsluster Damm). Fräulein Wandel war ein altes, übrig gebliebenes Mädchen. Sie wohnte bei ihrer Schwester und deren Mann. Den Handarbeitsladen führte sie aber allein. Wir besorgten uns dort Wolle, Stickgarn, Häkelnadeln und alles, was wir sonst noch für die Schule brauchten. Außerdem gab es kostenlosen Beistand, wenn wir mit unseren Handarbeiten mal nicht weiterkamen. Fräulein Wandel wusste immer Rat.

Gegenüber war ein Fleischer und drei Häuser weiter die Bäckerei Heise. Hinter der Bäckerei standen Garagen. Da hatte der Sohn des Drogisten Michaelis sein Fotolabor. Man konnte die selbst geschossenen Filme in der Drogerie abgeben, und der Sohn entwickelte sie dann. Allerdings gelang ihm nicht immer jeder Abzug auf Anhieb. Die misslungenen Exemplare warf er in den Müllkasten. Eines Tages hörte man von dort verstohlenes Gekicher. Ein paar Kinder hatten sich die Fotos herausgepickt und betrachteten nun mit größtem Interesse, was darauf so alles abgebildet war.“

Quelle: Ilse Dern in: „Berliner Schnitzel – Geschichten zur Geschichte Berlins 1930 – 1950, Jaron Verlag, Seite44;
mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber

Hier erzählt Herr Michael Döhner aus der nahen Egidystraße etwas über seine Großeltern:

„Meine Großeltern wohnten in den 1920er Jahren in der Remise der VillaSchade (heute ist dort die Baustelle Waidmannsluster Damm 161/163). Mein Großvater Willy Köhler, Jahrgang 1885, war von Beruf Modellbauer, meinen Großmutter Frieda Köhler, geb. 1896 in Untermassfeld/Thüringen, hatte dort eine Hauswirtschaftsschule besucht. Sie kam als junge Frau aufgrund einer Zeitungsannonce nach Waidmannslust. Hier war sie als Dienstmädchen in Stellung. Der Haushalt befand sich im heutigen Haus Oraniendamm 17. Ende der 1920er Jahre arbeitete sie dann zu Hause als Konfektionsschneiderin. Sie erwarb eine Singer-Nähmaschine, Auftragsbestätigung anbei.“

Hier stehen die Großeltern von Herrn Döhmer im Garten der Villa Schade mit Blick auf die Villa

Und hier die erwähnte Auftragsbestätigung zur Lieferung einer Singer-Nähmaschine


Hier kommt der nächste Bericht, uns freundlicherweise überlassen von Frau Klemp aus der Dianastraße:
Auszug aus der Bilder-Lesung von Hannelore Klemp für den Förderverein der Königin-Luise-Kirche im November 2016

1950 feierte Waidmannslust 75jähriges Bestehen mit einem Umzug. Die Aufnahmen hat zum großen Teil mein späterer Mann, Horst Klemp, gemacht; 2 stammen von Herrn Verkin.

Die übrigen Abbildungen sind z.T. dem Internet entnommen. Vielleicht entdeckt sich jemand auf den Bildern oder erkennt Angehörige oder Freunde?

Waidmannslust 75 Jahre alt. Ein noch junger Ort also. 3 Jahre früher hatte Lübars 700-jähriges Bestehen gefeiert.

1950 wurden übrigens im Freibad Lübars Schwimmmeisterschaften ausgetragen. Eine amerikanische Spende hatte die wettkampfgeeignete Erneuerung der Badeanlage ermöglicht.

Die meisten werden wissen, dass unser Ortsteil von dem Förster Ernst Bondick gegründet wurde, nach dem diese Straße hier benannt ist.

Dem Buch „Leben in Waidmannslust“, von Manfred Mendes 2004 zusammengestellt, entnahm ich Interessantes über die Entstehung unseres Ortes, das ich an den Anfang stellen möchte.

Ernst Bondick erwarb 1875 von einerLübarser Bauernwitwe, die ihre Miterben auszahlen musste, 64 Morgen Wald- und Heidegebiet beiderseits des heutigen Waidmannsluster Dammes zwischen Fließ und Packereigraben.

Eigentlich hatte er im Auftrage seines Dienstherren mit der Frau verhandelt, sich dann aber zu dem Kauf auf eigene Rechnung entschlossen, obwohl er sich dafür Geld leihen musste und prompt von seinem Dienstherren wegen seiner Eigenmächtigkeit „gefeuert“ wurde.

Es war die so genannte Gründerzeit und Bondick hoffte, mit einem Schlage reich zu werden wie andere Spekulanten, indem er das Areal, das er für weniger als 8 Pfennige pro Quadratmeter erworben hatte, parzellierte und die Grundstücke teuer weiterverkaufte. Die Nordbahn von Berlin nach Stralsund war seit 1870 im Bau und sollte in absehbarer Zeit eröffnet werden. Sie würde Käufer bringen. Um Interessenten an-zulocken, ließ Bondick noch im Jahre 1875 ein Jagd- und Gasthaus bauen, das er mit Geweihen ausschmückte und „Waidmannslust“ nannte. Er pachtete die Jagd in dem umgebenden Wald und bekam das Schankrecht. Er ging mit seinen Gästen auf die Pirsch und feierte die Jagderfolge in seinem Hause.

Der Bau der Bahn verzögerte sich. Das brachte Bondick in Schwierigkeiten. Das Gebiet war zu abgelegen und nur mit der Postkutsche zu erreichen; eine unbequeme und wegen häufiger Überfälle gefährliche Unternehmung. Erst als der Staat die Anlagen und Arbeiten übernahm, ging es voran. 1877 wurde die Bahnstrecke bis Neubrandenburg in Betrieb genommen, 1878 fuhr der erste Zug bis Stralsund. Die Bahn lehnte jedoch den Antrag Bondicks auf Einrichtung einer Haltestelle ab. Der blieb hartnäckig. Als eine Verkehrszählung angekündigt wurde, lud er an diesem Tag alle Freunde und Bekannte in sein Jagdhaus ein. Viele Reisende begehrten so, in Waidmannslust auszusteigen. Die Eisenbahndirektion stimmte daraufhin einer Bedarfshaltestelle zu unter der Auflage, dass sie von Bondick bezahlt würde. Trotz seiner drückenden Schulden übernahm erden Bau eines Bahnsteigs und eines Bahnwärterhäuschens an der damals ebenerdig verlaufenden Strecke. Ab 20. Mai 1884 konnte man in „Waidmannslust“ aus- und zusteigen.

Die alteingesessenen Lübarser waren empört darüber, dass die Station, obwohl auf ihrem Areal, nicht den Namen ihres Ortes, sondern den eines Wirtshauses bekam, das sie abfällig „Kneipe“ nannten, doch die Bahn weigerte sich, den Namen zu ändern.

Die neue Ansiedlung wuchs nun schnell zu einer Villenkolonie heran. Die Interessen der Zugezogenen, oft ruhesuchende Berliner, waren naturgemäß sehr verschieden von denen der Alteingesessenen; es kam zu ständigen Konflikten und Querelen. Da die Aufgaben der gewachsenen Gemeinde nicht mehr wie bis dahin üblich von einem Lübarser Bauern als ehrenamtlichem Gemeindevorsteher bewältigt werden konnte, wurde nach öffentlicher Ausschreibung ein „besoldeter“ Gemeindevorsteher eingestellt, der am 1. Juli 1907 sein Amt antrat. Damit hatten die Lübarser aber sozusagen „den Bock zum Gärtner gemacht“. Er verlegte das Gemeindeamt bald darauf in die Kolonie und änderte den Ortsnamen eigenmächtig in Lübars-Waidmannslust. Alle Proteste und Eingaben der Lübarser, das ungeliebte Namensanhängsel wieder los zu werden, blieben wirkungslos. Im Gegenteil sprach man sogar schon von „Lübars bei Waidmannslust“. Die gekränkten Bauern gründeten einen „Verein zur Erhaltung des Namens Lübars“ und verfassten eine Denkschrift, die sie an die Königliche Regierung in Potsdam mit folgendem Anschreiben schickten:

„Lübars bei Berlin, den 25. Juni 1912

Euer Hochwohlgeboren

beehren sich die Mitglieder des „Bürger-Vereins zur Erhaltung des Namens Lübars“ beifolgende Denkschrift über Rettung des Namens Lübars mit der herzlichen Bitte zu überreichen, gütigst davon Kenntnis nehmen und bei eintretender Gelegenheit für die Erhaltung des ehrenwerten Namens unserer alten Gemeinde unser wohlgeneigter Fürsprecher sein zu wollen.

Euer Hochwohlgeboren ganz ergebener Verein zur Erhaltung des Namens „Lübars“

In Vollmacht

Fritz Rathenow

Landwirt“

Die Waidmannsluster waren den Lübarsern zahlenmäßig längst überlegen. Sie unterstellten ihnen eigensüchtige Motive und konterten: „Dem idealen Streben, den freundlichen, auf unseren Nordwald hinweisenden Namen (nämlich Waidmannslust) erhalten zu wissen, steht eine krasse Bodenwu-cherpolitik gegenüber (nämlich der Lübarser Grundbesitzer)“ Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 ließ die Namens-Probleme in den Hintergrund treten und im Jahre 1920 erfolgte die Eingemeindung beider Ansiedlungen nach Berlin. Der Bahnhof hieß fortan „Berlin-Waidmannslust“, aber erst nach 1945 wurde Waidmannslust ein eigenständiger Ortsteil. 1959 kauften wir unser Grundstück in der Dianastraße. Wir waren sehr erstaunt, dass unser Waidmannsluster Besitz in das Grundbuch von Lübars eingetragen wurde.

Wenn man bedenkt, dass die Anfänge unseres Ortes noch nicht einmal 150 Jahre alt sind und das Denkschreiben an den„Hochwohlgeborenen“ Regierungsbeamten vor kaum mehr als 100 Jahren verfasst wurde, so wird einem klar, wie radikal sich die Zeiten und damit die Gepflogenheiten verändert haben. Das gilt auch schon für den Vergleich der Lebensweisen von 1950 und jetzt. Ende des Auszuges

Nachtrag: Ende 2019 betrug die Einwohnerzahl von Waidmannslust 10.973, die von Lübars 5.203 auf der doppelten Bodenfläche. In beiden Ortsteilen machten die 18-64 Jährigen ca.57% der Bevölkerung aus; etwa zur Hälfte männlich und weiblich. Von 0-17 Jahren waren es in Waidmannslust 21%und eben so viele Menschen über 65. In Lübars gab es nur 17% junge, aber 26% alte Leute. Der Ausländeranteil ist in Waidmannslust mit 20,8%, in Lübars mit 6,2% angegeben. (lt. Einwohnermeldeamtsregister) HANNELORE KLEMP