Interview mit Pfarrer Anders

Herr Anders, seit 2019 sind Sie als Gemeindepfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde hier in Waidmannslust tätig. Wir von der Initiative Waidmannslust, die wir alle schon seit vielen Jahren in diesem Ortsteil wohnen und die wir an dessen Weiterentwicklung interessiert sind, haben eher eine Innensicht auf den Ortsteil und sind deshalb gespannt zu erfahren, welche Gründe zu Ihrer Entscheidung für ein Leben und Arbeiten in diesem Ortsteil geführt haben und ob sich Ihre Erwartungen erfüllt haben.

Ja, – meine Frau und ich – wir können von uns sagen, dass sich unsere Erwartungen, die wir an ein Leben in dieser schönen grünen Umgebung hatten, wirklich erfüllt haben. Beruflich war es für uns eine Umstellung, Meine Frau fühlt sich in ihrem kollegialen Umfeld an der Gabriele-von-Bülow- Schule inzwischen gut integriert, und das gilt auch für mich für die Gemeindearbeit hier in Waidmannslust und auch in Wittenau. Ich selbst bin ja in Reinickendorf groß geworden, und als Familie haben wir für mehrere Jahre in der Nachbarschaft von Frohnau gelebt und gearbeitet. Insofern war es nach 14 Jahren auch eine gewünschte Rückkehr in nicht unbekannte Gefilde.

Und dann kam die Pandemie. Inwieweit hat denn die Pandemie für Sie ganz persönlich Auswirkungen gehabt?

Ich kann schon sagen, dass die Pandemie meinen Weg in den Kiez zu den Menschen an vielen Stellen ganz erheblich beeinträchtigt hat: Ein persönliches Kennenlernender Akteure hier vor Ort konnte bislang nur sehr begrenzt stattfinden, wichtige Institutionen, wie z.B. die Schulen und Kitas, waren einfach für eine lange Zeit nicht zugänglich. Dadurch fehlen mir noch manche konkreten Vorstellungen von Menschen und Institutionen vor Ort. Da besteht noch Nachholbedarf.

Wenn Sie nun an Ihre Arbeit in der Gemeinde denken: Welche Spuren hat die Pandemie denn dort hinter lassen?

Als Gemeindepfarrer merkt man nur zu gut, dass Gemeinde immer auch ein Ortmitten in der Gesellschaft ist. Gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen, die es um Auswirkungen und Reaktionen auf die Pandemie gab, bilden sich fast eins zu eins auch im Gemeindeleben ab: Da gibt es Tendenzen streng interpretierter Umsetzungen von gesetzlichen Vorgaben ebenso wie ein eher von weniger großer Ängstlichkeit getragenes Verhalten. Ebenso war und ist umstritten, ob die rechtlich mögliche Öffnung der Kirche für Gottesdienste in der Pandemie umgesetzt werden sollte – angesichts lange verbotener Kulturveranstaltungen. Verantwortung als Risikominimierung bzw. Solidarität mit anderen geschlossenen Einrichtungen oder als Ausübung eines grundgesetzlich garantierten Rechts – das waren die Linien der Auseinandersetzung.

Wie ist nun die aktuelle Situation unter den Bedingungen einer schrittweisen Öffnung?

Es wird darum gehen, die entstandenen Differenzen über den zurückgelegten Weg der Gemeinde aufzuarbeiten. Das unterscheidet uns kaum von der Lage in der Gesellschaft. Und dabei wird auch zu klären sein, inwieweit Kirche und Gemeinden –grundsätzlich und dann auch unter Pandemiebedingungen – Organisationen wie viele andere sind, oder ob es auch zu ihrem Auftrag gehört, Freiräume anzubieten, begründete Gegenentwürfe zu anderen gesellschaftlichen Akteuren. Einzelne allgemein als positiv erfahrene Vorgänge – der Stationenweg am Heiligen Abend, Open-Air-Gottesdienste, Konfirmationen unter einem großen Festzelt, digitalisierte Gottesdienstformate und andere Instrumente digitalisierter Kommunikation –werden wir in dieser oder jener Form auch künftig auf Umsetzbarkeit prüfen. Manche Entwicklung war durchaus innovativ, daran werden wir anknüpfen.

Nun hoffen wir in unser aller Sinne, dass die Pandemie weiter abklingen wird und weniger unseren Alltag bestimmen wird. Wenn Sie an die nähere Zukunft denken, wo sehen Sie gerade hier in Bezug auf den Waidmannsluster Kiez Entwicklungsbedarf?

Nun, das Tegeler Fließ, der Steinbergpark, das Leben in einer grünen Umgebung mit hohem Freizeitwert, das leicht erreichbare Umland sind ganz bedeutsam für uns und gleichzeitig schätzen wir die gute Verkehrsanbindung durch die S-Bahn in die Innenstadt – wenn denn Ausflüge wieder möglich sind.

Gibt es da nichts, was sie stört?

Natürlich ist kein Wohnumfeld absolut perfekt. Aber: Für die tägliche Versorgunggibt es eine funktionierende Infrastruktur. Wir freuen uns, dass der Fluglärm nach der Schließung von Tegel auch hier zu weniger Lärmbelästigung führt. Wir hoffen, dass die Sperrung der Jean-Jaurès- Straße bald endet, denn dort fließt der durchgehende Verkehr doch ungestörter als hier über das Kopfsteinpflaster der Hochjagdstraße. Da kann ich das Anliegen der Initiative Waidmannslust, die auf dem Waidmannsluster Damm für Tempo 30 kämpft, sehr gut nachvollziehen. Überhaupt sind der Waidmannsluster Damm und auch der Oraniendamm an keinem Abschnitt Orte, wo Menschen miteinander ins Gespräch kommen könnten – selbst in den Vorgärten der Restaurants ist das nur eingeschränkt möglich. Die beiden großen Hauptverkehrsadern zerschneiden vielmehr in meiner Sicht den Ortsteil.

Was fehlt also Ihrer Ansicht vor allem für die Menschen hier?

Menschen brauchen einen Ort der Begegnung, wo sie in Ruhe zusammenkommen können, sich austauschen, in entspannter Atmosphäre einen Kaffee trinken. Sicher ist der neue Dianaplatz schon ein guter Treffpunkt, aber ein Café in grüner Umgebung, das auch bei schlechtem Wetter Begegnungen möglich macht, wäre meiner Meinung nach genau das, was die Umgebung noch lebenswerter machen könnte.

Inwieweit könnten Sie denn bei einem solchen Projekt als Gemeindepfarrer helfen?

Unsere Gemeinde verfügt ja nicht nur über einen wunderbaren Gemeindegarten, der in der momentanen Situation für unsere Open-Air-Gottesdienste genutzt wird. Aber da ist noch mehr Entwicklungspotential vorhanden: eine bessere Nutzung des Jugendhauses ist vorstellbar. Wir haben als Gemeinde unlängst einen Antrag bei der BVV um Unterstützung aus Mitteln eines Kiezfonds gestellt für die Restaurierung des Turmzimmers der Kirche. Es soll zu einem Ort der Begegnung für Menschen aus Gemeinde und Kiez werden, auch für die Bewohner*innen der Cité Foch – Angebote für Sitzungen, Workshops und Diskussionsrunden sollen da bald entstehen. Wir werden noch weitere Möglichkeiten der Öffnung hin zu den Menschen im Kiezprüfen, besonders auch zu denen, die jetzt neu hierhergezogen sind oder noch kommen werden. Ich bin sicher, verschiedene Orte der Begegnung werden gebraucht– und mich würde es freuen, wenn unsere Kirchengemeinde mit Mut, Phantasie und etwas Risikobereitschaft dazu etwas beitragen könnte.

Herr Anders, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Das Gespräch wurde von Helga Nieschalk von der Initiative Waidmannslust am 01.06.2021 geführt.